Betty Ford Anlauf Nr. 2
Um ehrlich zu sein, kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern wie ich mich gefühlt habe als ich ein zweites mal dort ankam. Irgendwie ist an dieser Stelle ein dunkles Loch. Ich weiß nur noch, dass ich zwei Tage in Quarantäne musste bis das Ergebnis vom PCR-Test da war. Ja und diese zwei Tage sind einfach wie ein großes dunkles Loch. Ich hab keine Ahnung mehr was ich die Zeit im Zimmer getrieben habe oder wie ich mich gefühlt habe. Ich habe einen Blackout. Keinerlei Erinnerung an diese 48 Stunden.
Dann kam ich von der Akut-Station auf mein Zimmer. Ich fühlte mich direkt wohl und war wirklich zufrieden mit dem Zimmer. Doch wirklich gut gelaunt war ich nicht. Ich war irgendwie sehr schüchtern und zurückhaltend. Ich ging nur ab und zu für eine Zigarette raus. Ich unterhielt mich kaum mit den anderen, nur dann wenn die eine Frage stellten. Grundsätzlich setzte ich mich immer etwas weiter weg. Ich wollte auf einmal nicht mehr hier sein. Ich wollte weg, einfach nachhause. Ich bekam Zweifel, ob das hier eine gute Entscheidung gewesen war und ob ich nicht einfach abbrechen sollte. Ich fühlte mich so unwohl. Ich fühlte mich nur noch in meinem Zimmer wohl. Dann wenn ich alleine war.
Außer die Einzeltherapie nahm ich kaum noch etwas wahr. Ich beteiligte mich null, hörte nicht zu & interessierte mich auch nicht dafür. Ja und ich schlief wieder viel, wodurch ich auch die ein oder andere Therapiestunde verpasste. Irgendwie wurde alles immer schwerer und ich fühlte mich so machtlos. Ich kam mir vor wie ein nasser Sack. Ein trauriger nasser Sack. Dabei konnte ich den Grund meiner Traurigkeit gar nicht erfassen. Meine Erschöpfung war auch unerklärlich, ich schlief ja hauptsächlich. Die einzige Freude die mir mein Leben noch bieten konnte waren Bücher. Klar, da war man ja auch nicht man selbst. Man befand sich im Leben eines anderen. Ich konnte abschalten und meine Gedanken loslassen.
So nun fiel das ja aber natürlich auf, dass ich nie zu sehen war, viel verschlief & verpasste und da ich keine Kraft zum lügen hatte beichtete ich natürlich dass ich nichts anderes machte als auf meinem Zimmer, im Bett zu liegen. Ich erzählte dann auch viel von meinen unangenehemn Gefühlen und meiner Hoffnungslosigkeit. Da setzte meine Therapeutin mir die Aufgabe mind. 1 mal am Tag einen Spaziergang zu machen. Sie gab mir eine Aufgabe. Und genau das war das beste was irgendwer hätte tun können. Ganz speziell & individuell MIR eine Aufgabe geben. Scheiß egal ob es eine wirklich große oder schwere Aufgabe war. Ich habe das einfach gebraucht. Natürlich überlegte ich auch darauf einfach zu scheißen aber dann hatte ich irgendwie ein schlechtes Gewissen dabei...Ich mein diese Aufgabe war in gewisser weise auch ein Befehl, eine Anforderung und sie war ganz speziell für mich gedacht. Ich wollte mich nicht widersetzen und ich wollte ihr zeigen, dass ich es kann. Irgendwie wollte ich sie stolz machen doch im Endeffekt machte ich mich selber stolz. An diesem Tag ging ich nämlich gleich zweimal spazieren.
Am nächsten Tag berichtete ich meiner Therapeutin natürlich davon und ich erzählte auch, dass es so gut getan hatte, weshalb ich ja auch zweimal raus ging. Ja und das war irgendwie der Wendepunkt. Jeden Tag erinnerte sie mich nun an meine Aufgabe und ich führte sie auch brav aus. Jeden Tag lief ich ein bisschen weiter hinaus. Ich fing nun auch an mich mit den anderne Patienten zu unterhalten. Ich ging selber auf die zu und stellte Fragen, erzählte von mir und meinem Leben und und und. dadurch entstanden wunderbare Gespräche. Manchmal gingen wir auch in einer kleinen Gruppe spazieren, was wirklich schön war.
Übrigens hatte mir meine Therapeutin auch verboten tagsüber zu schlafen. Ich weiß nicht wieso aber ich nahm dieses Verbot unglaublich ernst und so beschloss ich mich erst gar nicht ins Bett zu legen, tagsüber.
Ich denke, dass ich nicht die einzige bin, der es schwer fällt bestimmte dinge durchzuführen. Und dabei rede ich von den ganz alltäglichen und vermeidlich einfachen dingen. Bei mir war es das Spazieren gehen. Ich hatte psychisch & körperlich kaum Kraft dazu doch dann lernte ich eine Sache, die nicht nur auf meine Spaziergänge sondern auf das komplette Leben anzuwenden ist. ZIELE. Man muss sich Ziele setzen um voran zu kommen. Bei den Spaziergängen setzte ich mir ein Ziel z.B. diese eine Bank erreichen oder ohne Pause durchzulaufen oder bis zum Bibergrabe usw. kleine Ziele die vielleicht erstmal als unbedeutend wirken doch wenn man denen folgt & sie dann erreicht gibt einem das ein so tolles euphorisches Gefühl. Und so können sich die Ziele steigern. Jeder fängt mal klein an. Irgendwann bin ich über eine Stunde spazieren gegangen...Irgendwann verstand ich ja, dass Ziele das wichtigste im Leben waren. Ohne Ziele war man nichts. Ohne Ziele hatte man auch keine Zukunft. Ziele sind das A&O im Leben. Es gibt unterschiedliche Formen von Zielen, doch dazu werde ich in dem Post über die Tagesklinik nochmal zu sprechen kommen, da ich dort die verschiedenen Arten der Ziele kennenlernte und verinnerlichte.
Durch die frische Luft, die Gespräche mit den anderen und die immer zunehmende betiligung an den einzelnen Therapiestunden ging es mir von Tag zu Tag besser. Meine Therapeutin und ich besprachen auch, was ich nach meinem Aufenthalt hier machen wollte, was ich für meine Zukunft anstrebte. Wir setzten mir ganz bewusst Ziele & so kam aber auch das Thema Tagesklinik zur Sprache. Sie empfiehl mir eine Tagesklinik in Aschaffenburg, nicht weit von mir entfernt. Wir besprachen was es mir bringen könnte usw.
Es wurde ja regelmäßig, also jeden Tag, mein Blutdruck & Puls gemessen. Mein Blutdruck war vollkommen Anordnung, doch der Puls schwankte zwischen 100 & 130, mein Ruhepuls wohlgemerkt. Da ich aber nicht noch mehr Medikamente wollte bekam ich so ein kleines Gerät womit ich immer mal zwischendurch meinen Puls messen konnte. Dazu gab es auch eine App wo dann verschiedene Atem Übungen drauf waren. Diese Atemübungen sollte zur Beruhigung und Senkung des Pulses führen. Diese Übungen sollte ich dann immer wieder zwischendurch am Tag anwenden. Genau das tat ich dann auch. Es war eine weiter Aufgabe die meinem Leben Sinn verlieh. Und tatsächlich verringerte sich mein Ruhepuls. Nicht viel aber immerhin. Das ganze verlieh mir einfach ein Gefühl der Kontrolle. Kontrolle über mich selbst & das half mir grundsätzlich einfach entspannter zu sein. Natürlich trugen die täglichen Spaziergänge auch dazu bei, dass mein Puls sich langsam normalisierte. Ich hatte Aufgaben die mir einem Sinn im Leben gaben und ich verstand allmählich, dass ICH die Kontrolle hatte bzw. auch heute habe. Ich habe die Kontrolle. Ich entscheide was ich mache oder nicht mache. Ich entscheide wie ich mit einer Situation umgehe & ich entscheide wie ich reagiere wenn ich mal impulsiv gehandelt habe. Ich habe die Kontrolle über mein eigenes Leben. Ich kann mir selbst Aufgaben geben, die meinem Leben einen Sinn verleihen.
Das Lächeln was ich verloren hatte & wiedergefunden & wieder verloren, fand ich nun wieder. Zumindest hatte ich das geglaubt. Ich war fest davon überzeugt jetzt alles im Griff zu haben. Ich war wieder motiviert. Ich war der festen Überzeugung, dass jetzt alles gut werden würde.
Und so wurde ich guten Gewissens aus der Betty ein zweites mal entlassen. Damals dachte ich wirklich jetzt ist der Spuk vorbei. Jetzt habe ich es geschafft, die Hürden gemeistert und zurück ins Leben gefunden. Dass all das überhaupt erst der Anfang war und ich jetzt erst richtig kämpfen musste und ich noch laaaaaange nicht geheilt war, das wusste ich nicht bzw. vielleicht wusste ich es aber nicht bewusst. Vielleicht wollte ich es auch einfach nicht wahrhaben und verdrängte es unter meiner plötzlichen guten Laune die nicht lange anhalten sollte...
- Fortsetzung folgt -
Tanja
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