14. Januar 2020

Nun kam der Tag bzw. die Nacht in der ich mir Hilfe suchte. Jedoch muss ich sagen, dass ich mir damals nicht bewusst war, dass ich mir gerade Hilfe suchte. Mein damaliger Gedanke war einfach: "Ich brauche jemanden zum reden." Weshalb ich nicht einfach mit meiner besten Freundin sprach, ist mir bis heute unklar. Naja bzw. ich gehe davon aus, dass ich einfach jemand gebraucht habe der von meiner damaligen Situation etwas entfernt war also quasi ein aussenstehender.

Aber ich fang jetzt einfach mal an wie es begann. 

13. Januar 2020:

Ich weiß nicht mehr genau wie ich den Tag verbracht habe. Ich glaube ich war irgendwie unterwegs oder keine Ahnung, jedenfalls war es so früher Abend, so 17:00 Uhr oder vielleicht auch 16:00 Uhr, weiß ich nicht mehr, wo ich den Entschluss gefasst hatte mich wieder an den Schreibtisch zu setzen und zu lernen. In genau 6 Tagen war meine erste Prüfung von der Uni aus und ich war unglaublich nervös. Daher wollte ich eigentlich die ganze Nacht durch lernen und mir so viel aneignen wie möglich. So, da ich ja aber mit einer Psychose zu kämpfen hatte war das mit dem Konzentrieren nun mal nicht so leicht. Also kontaktierte ich meinen Dealer. Ne halbe Stunde später hatte ich die kleine Kapsel auch schon in der Hand. Ich nahm mir fest vor nur so ein, zwei Lines zu ziehen, damit ich für heute gut lernen konnte und die nächsten Tage auch noch was hatte. Zum lernen versteht sich.

Die erste line war gezogen und ich war richtig motiviert jetzt richtig loszulegen mit dem lernen. Ich schnappte mir mein Bio-Psychologie Buch und einen Textmarker und setzte mich in die Küche, drehte eine Zigarette und fing schließlich an zu lesen. Ich markierte alles wichtige, was ich für die Prüfung wissen musste. Am Anfang musste ich mich extrem anstrengen, da das Koks ja nicht ganz so schnell gewirkt hat. Aber dann gings und es hat sogar Spaß gemacht. Dann verspürte ich den Drang eine weitere line zu ziehen damit ich garnicht erst von dem Motivations-Trip runterkommen würde. Ich war so motiviert zu lernen dass ich jetzt ne richtig krasse lern Session starten wollte. Also noch eine line. Ja dann saß ich wieder vor dem Buch, immer noch am markieren und nebenbei Stichpunkte aufschreiben. Irgendwann ging ich dann über zu Videos. Meine Dozenten hatten uns verschiedene Internetseiten und You-Tube-Videos gennant welche hilfreich sein könnten. Zudem googelte ich auch selber noch ein bisschen rum. Lief alles ziemlich gut.

Doch dann hörte ich dieses Gemurmel & genuschel wieder und irgendwie wurde ich auch bisschen müde. Also nicht so richtig müde. Es fühlte sich eher wie so leichte schwäche Schübe an. Die Motivation wurde weniger, wenn auch nur sehr leicht. Ich spürte es dennoch. Also musste einfach eine weitere line her. Ich wollte doch die ganze Nacht lernen.

Nach dieser line sagte ich mir, eine kurze Pause könne ja nicht schaden. Ich rauchte also ein, zwei Zigaretten. Mein Mund war danach das reinste Pappmaul. Viel zu trocken. Da erinnerte ich mich an den fake-Baylies denn ich heute vormittag gekauft hatte und gönnte mir ein Gläschen. Aus dem einen Gläschen wurden dann viele weitere Gläser. Die Pause wurde immer länger. Meines Gewissens-wegen lies ich eines der Psychologie Videos nebenher laufen, hörte aber nicht wirklich zu. Ich war damit beschäftigt weitere Lines zu ziehen, weitere Gläser alk. zu trinken und mit irgendwelchen bekannten zu schreiben. Nach geraumer Zeit wurde das Psychologie Video mit meiner Musik ersetzt. Da meine zwei Freundinnen nebenan im Wohnzimmer schliefen wechselte ich zu Kopfhörern.

Ich schrieb mit einige Freunden, bekannten auf Instagram & Snapchat und Leuten auf Tinder. Einfach so weil ich das große Bedürfnis hatte mit jemandem bzw. so vielen wie möglich zu kommunizieren. Ich war so euphorisch geladen und auch so rede bedürftig. Ich fühlte mich so gut und so wohl. Das lernen, das Studium und die anstehenden Prüfungen waren wie aus meinem Gedächtnis gelöscht. Einfach alles war super. ich hatte keine Sorgen, keine Ängste, Zweifel oder sonstigen Gedanken. Ich war einfach frei.

Nach keine Ahnung wie viele Stunden zog ich rüber in mein Schlafzimmer. Und ab dem Punkt ungefähr fing es an. Es fing an alles um mich herum qualvoll unangenehmen zu werden. Ich fühlte mich in meinem Körper plötzlich so gefangen und so unwohl. Ich wollte irgendwie ausbrechen, das Schloß aufbrechen und raus rennen aber ich wusste nicht wie. Es war alles verriegelt und von dem Schlüssel weit und breit keine Spur. Nun begann ich zu realisieren was in den letzten Monaten ach quatsch, Jahren passiert war. Mir wurde klar wie lange ich schon dieses Leben lebte. Das Leben von dem ich glaubte es wäre perfekt. Das Leben von dem ich glaubte ich wäre frei und glücklich. 
Aufeinmal kamen die Stimmen und Schatten wieder. Dann begriff ich, dass ich kaum in der Uni gewesen war und kurz vor meinen Prüfungen stand und eigentlich nicht wirklich was drauf hatte. Mir wurde Klar wie viel Geld meine Eltern für die Uni und mich ausgegeben hatten und ich die Prüfungen versemmeln würde und generell das ganze Studium nicht schaffen würde. Ich wusste dass ich ein verdammt großes Problem hatte. Aber wie sollte ich es lösen?
Ich zog gleich zwei, drei Lines hintereinander, in der Hoffnung es würde so knallen, dass ich wieder zurück zu dem Euphorischen-Zustand kommen würde. War nur leider nicht so.

Ich überlegte lange was ich machen sollte. Und so griff ich zu meinem Handy, öffnete den Chatverlauf mit meinem Bruder und begann die Sprachnachricht, welche ich nach 5-Minuten sprechen auch abschickte. Ich hatte instinktiv meinen Bruder gewählt. Für mich ist er unglaublich Waise und findet immer die richtigen Worte. Ich wusste er würde mich verstehen. Ich wusste er würde nicht urteilen und ich wusste er würde mir zuhören. 

Danach fing ich an bitterlich zu weinen. Ich schluchzte wie verrückt. Wollte schreien. Mein Koks war leer und die Schatten wurden immer größer und dunkler. Ich hatte Angst. Dann wurde mir schlecht. Kotzübel. Ich holte mir einen Eimer, falls ich kotzen müsste. Ich weinte noch immer, würgte ein bisschen aber musste nicht kotzen.
Mir kamen die grausamsten Gedanken. Die schrecklichsten Szenarien liefen in meinem Kopf ab. Die schlimmsten Zweifel kamen über mich her. Ich hatte das Gefühl ich würde mich jede Sekunde ein bisschen mehr verlieren. Ich wollte kämpfen aber aufgeben erschien mir also die bessere Option.
Irgendwie schaffte ich es meiner besten Freundin zu schreiben die nach keine Ahnung wie lange in mein Zimmer gestürmt kam und mich in den Arm nahm. 
Sie hatte keine Ahnung dass ich die Nacht konsumiert hatte, sie hatte keine Ahnung von den Stimmen & Halluzination. Sie war sichtlich geschockt als ich es ihr erzählte.


14. Januar 2020

Mein Bruder hatte mittags oder so auf meine Sprachnachricht geantwortet. Ich wusste nicht ob ich ihm jetzt wirklich alles anvertrauen sollte. Sollte ich mich jetzt wirklich öffnen und alles beichten & mich verletzbar machen?
Es dauerte eine Weile bis ich antwortete aber ich tat es. Ich schrieb ihm, dass ich konsumierte, dass ich die Realität nicht von der Illusion unterscheiden konnte und ich schrieb wie es mir in letzter Zeit ging. Seine Antwort darauf war die folgende Frage:
"Kann ich am Wochenende zu dir ? Hast du Zeit?"
Ich war irgendwie ein bisschen überfordert. Ich dachte an meine Prüfungen, dass ich doch lernen müsste obwohl ich eigentlich wusste dass ich das eh nicht konnte und es zwei Tage vor den Prüfungen auch nicht mehr viel bringen würde.
Ja und ein paar Tage später, am Wochenende, stand mein Bruder mit seiner Frau vor mir. Wir gingen ein bisschen spazieren und dann in ein Café frühstücken. Ich hatte meine beste Freundin als Unterstützung dabei. Zudem konnte sie natürlich auch aus ihrer Sicht erzählen was so die letzten Monate passiert war und wie sie mich erlebt hatte.
An diesem Tag habe ich viel geweint und viel schmerz gespürt. 

Dann geschah alles ganz schnell. Mein Bruder, meine Schwägerin und ich saßen noch am selben Tag im Flieger Richtung Frankfurt. Der Plan war, alles meinen Eltern zu erzählen und mich dann in eine Klinik zu stecken. Ok, das hört sich jetzt böse an, "mich in eine Klinik stecken". Es war ja letztendlich meine Entscheidung. Mein Bruder und meine Schwägerin hatten mir aufmerksam zugehört, fragen gestellt und mir nahe gelegt in eine Klinik zu gehen. Meine Schwägerin hat eine der besten Kliniken in Deutschland für mich rausgesucht und schließlich mich natürlich gefragt ob ich das möchte und ob ich bereit dazu bin.
Damals war ich mir nicht wirklich bewusst, was es bedeutete in eine Entzugsklinik zu gehen. Generell stationär aufgenommen zu werden und naja auch nichts mehr zu konsumieren. Mir war nicht bewusst, dass ich NIE WIEDER konsumieren würde. Ich wusste nicht was auf mich zu kommen würde. Ich war mir nicht bewusst was für eine Entscheidung ich da traf. Ich wusste nur, dass ich irgendetwas ändern musste.

Der Abschied von meiner besten Freundin war sehr hart...ich wusste ja nicht wie lange ich wegbleiben würde. Ja und im Flieger dann bekam ich richtig Herzrasen. Ich musste ja meinen Eltern beichten was gerade in meinem Leben abging und das war ja kein Zuckerschlecken. Ich hatte richtig Angst. Angst davor sie würden es nicht verstehen, mich anschreien, abstoßen, nicht unterstützen. Vor allem hatte ich aber Angst, dass ich sie verletzen würde. Und meine größte Angst wurde natürlich wahr. Klar, sie waren verletzt. Ich hatte die letzten Jahre ein Doppelleben geführt. Ich hatte viel gelogen und verheimlicht. Ich, ihre jüngste Tochter, habe mich selbst kaputt gemacht und noch so viel anderes. Logisch dass sie verletzt und traurig waren.
Ich weiß garnicht ob das stimmt aber ich gehe mal schwer davon aus, dass meine Eltern sich auch selbst Vorwürfe gemacht haben. Sowas wie, "wieso hab ich es nicht bemerkt, nicht gesehen? Hätte ich was tun können? Was wäre wenn ich das so gemacht hätte und nicht so?" usw. Ich denke als Verwandter, Angehöriger, macht man sich immer erstmal solche Gedanken. Ob sie sich verfestigen oder wie lange man diese Gedanken hat liegt dann an einem selbst.

Naja jedenfalls war das Gespräch dann nicht ganz so schlimm wie ich es mir vorgestellt hatte. Besonders schön war es trotzdem nicht. Man muss ja auch dazu sagen, ich war da nun schon ne weile Nüchtern. Also klar hatte ich die Tage danach noch viel Alkohol getrunken aber ich war nicht mehr feiern und habe kein Koks oder Crystal gezogen und auch keine Pillen geschmissen.

Am nächsten Tag fuhren meine Mutter, meine Schwägerin und ich dann zu der Klinik die meine Schwägerin rausgesucht hatte. Zur Besichtigung. Wir bekamen sowas wie ne Rundführung durch die Klinik und anschließend gab es ein Gespräch mit der Chefärztin, die dann später auch meine Bezugs-Therapeutin wurde.

Ok gut und dann ca. ne Woche später am 27. Januar 2020 wurde ich in der My Way Betty Ford Klinik als Patientin aufgenommen.


In der Woche vor meiner Aufnahme durchlebte ich einen kalten Entzug. darüber werde ich einen extra Post schreiben. Darin werde ich auch meinen ersten Eindruck von der Klinik schreiben und die darauffolgenden Posts werden über meinen 8-Wöchigen Klinik Aufenthalt in der My Way Betty Ford Klinik handeln.

Tanja

Kommentare

Beliebte Posts